
Für die Toilettenpause ausstempeln?
Das Kantonsgericht Neuenburg hat entschieden, dass ein Arbeitgeber von seinen Angestellten verlangen darf, sich beim Toilettengang auszustempeln. In einem konkreten Fall sollten Mitarbeiter einer Firma in Neuenburg die Arbeitszeit unterbrechen, in Form von Ausstempeln, wenn sie ihren Arbeitsplatz kurz verliessen, um ihre Notdurft zu verrichten. Diese kurze Zeiteinheit gelte nicht als Arbeitszeit und werde folglich auch nicht durch den Arbeitgeber vergütet. Diese Praxis wurde 2021 bei einer Corona-Kontrolle durch das Büro für Beziehungen und Arbeitsbedingungen aufgedeckt und vor Gericht gebracht. Das Gericht bestätigte jedoch, dass der Arbeitgeber rechtmässig handelt und die Stempelpflicht bei Toilettenpausen zulässig ist.
In diesem Entscheid spielen die Begriffe "Arbeitszeit" und "Pause" eine wichtige Rolle. Der Arbeitnehmer erfüllt seine Arbeitspflicht durch Arbeitsleistung nach Zeit, also durch die Ableistung von Arbeitszeit. Die Definition von Arbeitszeit hat in der Vergangenheit immer wieder für Diskussionen gesorgt. Eine Legaldefinition für die Arbeitszeit lässt sich im Schweizerischen Recht weder im Obligationenrecht noch im Arbeitsgesetz (ArG) finden. Die einzige Definition von Arbeitszeit ergibt sich aus der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1), wo in Art. 13 Abs. 1 ArGV 1 geschrieben steht, dass Arbeitszeit die Zeit ist, während der sich der Arbeitnehmer zur Verfügung des Arbeitgebers zu halten hat.
Die Leistung von Arbeitszeit setzt allerdings kein Tätigsein voraus. Der Arbeitnehmer kann sich ebenso mittels Bereitschaftsdienst oder durch untätige Präsenz zur Verfügung des Arbeitgebers stellen und damit Arbeitszeit leisten. Ausschlaggebend ist, dass der Arbeitnehmer seine Zeit mit dem Willen des Arbeitgebers in dessen Interesse verbringt. Er hält sich dabei zur (wirtschaftlichen) Verfügung des Arbeitgebers. Es werden Fälle unterschieden wo der Arbeitgeber die Leistung von Arbeitszeit anordnet, die Leistung von Arbeitszeit notwendig ist oder wenn die Leistung von Arbeitszeit vom Arbeitgeber geduldet wird.
Eine Pause ist eine Unterbrechung der Arbeit, welche aus physiologischen Gründen notwendig ist und ist in Art. 15 ArG geregelt. Dieser bestimmt die Mindestdauer der Summe von den Unterbrechungen der Arbeit eines Tages mit Pausen und sagt in Absatz 2, dass von keiner Pause die Rede ist, wenn der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz nicht verlassen darf. Art. 18 ArGV 1 enthält genauere Regeln über Pausen und sagt in Absatz 2, dass Pausen um die Mitte der Arbeitszeit anzusetzen sind. Pausen im Sinne des Art. 15 ArG gelten in der Regel nicht als Arbeitszeit und müssen daher nicht vergütet werden.
Damit ein Arbeitsunterbruch als Pause qualifiziert werden kann, muss die Zeit vom Arbeitnehmer zur Verpflegung und Ruhe genutzt werden. Liegt ein technisch bedingter Arbeitsunterbruch vor, so ist gemäss Wegleitung zum Arbeitsgesetz und den Verordnungen 1 und 2 des Staatssekretariates für Wirtschaft (SECO) nicht von einer Pause die Rede, wenn sich der Arbeitnehmer dabei nicht ausruhen kann, weil beispielsweise die Zeit zu knapp ist oder nicht klar ist, wann die Arbeit nach der Pause wiederaufgenommen werden muss. Einige Stimmen aus der Lehre sind der Meinung, dass Art. 15 ArG nicht anwendbar ist auf sporadische, kurze Arbeitsunterbrüche (sogenannte Kurzpausen), worunter nebst Toilettengängen auch unaufschiebbare Telefonate oder Unterbrüche zwecks Rauchens gehören (Kurzkommentar zum ArG, Gross/Frunz/Marro; Überstunden- und Überzeitarbeit, Bregnard-Lustenberger/Judith). Diese kleineren Unterbrechungen gelten nach Auffassung der genannten Autoren nicht als Pausen im Sinne des ArG und müssten folglich zur Arbeitszeit gehören und vergütet werden. Sollten solche Kurzpausen allerdings die Dauer einer normalen Pause erreichen, beispielsweise wenn die Rauchpause 15 Minuten dauert, dann muss diese Zeit vom Arbeitgeber nicht vergütet werden. Deshalb verlangen viele Arbeitgeber ein Ausstempeln für Rauchpausen.
Folgt man den Interpretationen der einschlägigen Gesetzesartikel und Verordnungen des SECO sowie den oben genannten Autoren, so ergeben sich im Resultat Komplikationen mit den Interpretationen des Kantonsgerichts Neuenburg. Ein Toilettengang beschreibt die Befriedigung der Notdurft eines jeden Menschen. Dabei jedoch von einer Unterbrechung der Arbeit zur Verpflegung oder Ruhe zu sprechen und den Toilettengang als Pause zu qualifizieren, erscheint fraglich. Beim Toilettengang handelt es sich ja um ein menschliches Grundbedürfnis, wofür vom Arbeitgeber auch angemessene Flexibilität verlangt werden kann. Denn wenn der Arbeitnehmer bei jedem Toilettengang ausstempeln müsste, kann angenommen werden, dass dieser sich zum Ziel setzt, die Toilettengänge zu minimieren. Dies wäre nicht im Interesse der Gesundheit und des Wohlbefindens des Arbeitnehmers und würde der Fürsorgepflicht seitens des Arbeitgebers widersprechen.
Das Gericht ist anderer Meinung als das SECO und die oben genannten Autoren und lässt das Ausstempeln für den Toilettengang zu. Somit qualifiziert das Gericht den Toilettengang als eine Unterbrechung der Arbeit (Pause, welche nicht vergütet werden muss). Es argumentiert damit, dass die obengenannten Bestimmungen des ArG und des ArGV 1 nicht ausdrücklich verbieten, Toilettengänge von der Arbeitszeit abzuziehen. Damit wiedersprechen sich die Aussagen des SECO und des Gerichts betreffend Grund des Unterbruchs der Arbeit. Das Gericht führe aus, dass der Grund für das Ausstempeln nicht erfasst werde, womit keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers vorliegt. Die Entfernung vom Arbeitsplatz hat unabhängig vom Grund die gleiche Folge und zwar, dass keine Arbeit geleistet wird, weshalb auch die Vergütung entfällt.
Dieser Gerichtsentscheid wirft viele Fragen auf und lässt Arbeitnehmer wie auch Arbeitgeber mit einer gewissen Ratlosigkeit zurück. Wenn der Toilettengang als Pause qualifiziert werden würde, müsste man folglich auch ausstempeln, wenn man Wasser trinkt oder eine kurze Bildschirmpause einlegt, um aus dem Fenster zu schauen?
Links:
Wegleitung zum Arbeitsgesetz und den Verordnungen 1 und 2
Über die Autoren:
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